Cannabis als Arzneimittel
Seit Jahrtausenden werden Hanf und dessen Wirkstoffe eingesetzt, um Menschen bei speziellen Krankheitssymptomen mittels der Naturarznei zu helfen und die Lebensqualität zu verbessern, wovon Aufzeichnungen aus der Geschichte zeugen.
Aufgrund der Dekaden andauernden Prohibition von Cannabis sind die geschichtlichen Hintergründe über dessen Einsatz als Arzneimittel in den letzten Jahren oft vergessen worden. Selbst die Forschung an den medizinischen Eigenschaften war aufgrund des geltenden Verbotes lange Zeit nicht möglich. Doch schon lange vor der deutschen Gesetzesänderung im Jahr 2017, die es erlaubte, Cannabis als Medizin unter bestimmten Umständen zu verschreiben, war es aufgeschlossenen Medizinern und Kräuterheilern bewusst, wie viel Potenzial in der Pflanze für die menschliche Gesundheit steckt.
Erste Aufzeichnungen in der Menschheitsgeschichte Tausende Jahre zuvor
2700 v. Chr. wurden in China die ersten schriftlichen Dokumente bezüglich der medizinischen Verwendung von Hanf beziehungsweise Cannabis verfasst. Shen-Nung, ein mythischer Kaiser und zugleich einer der Urväter der chinesischen Medizin, berichtete in einem Grundwerk der Medikamentenkunde über den Einsatz des natürlichen Heilmittels. Das Harz der Pflanze könne nach seiner Beobachtung gegen Beriberi, Verstopfung, Frauenkrankheiten, Gischt, Malaria, Rheumatismus und Geistesabwesenheit eingesetzt werden. Von China aus wurde Hanf laut Schätzungen um das Jahr 800 v. Chr. nach Indien gebracht und anschließend 200 Jahre später nach Persien, wo vermutlich die heilige Schrift „Avesta“ durch Zarathustra entstand. Hier wurde über die betäubende Wirkung berichtet. Belegt ist dazu das Vorhandensein von Cannabis in Ägypten ab dem Zeitraum um 1500 v. Chr., wobei es aber Hinweise auf die Präsenz der Pflanze bereits seit 2500 vor Christus dank existierender Papyri gibt. Die umfassendste Beschreibung von Cannabis zu dieser Zeit in Ägypten lässt sich in einem Dokument namens „Papyrus Ebers“ finden, das über den Einsatz in der Medizin im Zeitraum des 16. Jahrhunderts v. Chr. berichtet.
Hippokrates, Homer, Dioskurides und Galen
In der Antike lässt sich zumindest in dem grundlegende Tatsachen schaffenden Werk von Hippokrates nichts über den Einsatz von Cannabis in der Medizin finden. Das „Corpus hippocraticum“ wird als Fundament der abendländischen Medizin verstanden, enthält aber keine Hinweise über Hanf im Allgemeinen. Erstmals wird Cannabis konkret in einer abendländischen Schrift in der Arzneimittellehre des Dioskurides erwähnt. In dem um 50 nach Christus erschienenen Werk wird der Einsatz eines zu grünem Saft gepressten Extraktes gegen Ohrenschmerzen beschrieben. Galen, einer der berühmtesten Ärzte der Antike, wird in seinen Schriften noch konkreter und nennt viele Anwendungsgebiete. Das Naturheilmittel würde gegen Blähungen wirken und eine aphrodisierende Wirkung besitzen.
Arabische Erkenntnisse
Im Gegensatz zu der Antike war in der arabisch-islamischen Welt im 10. Jahrhundert der Hanf als Medizinal– und Rauschpflanze von weitaus größerer Bedeutung als Opium. Avicenna, der als Übervater der arabischen Medizin bezeichnet wird, spricht sich wie zahlreiche andere Mediziner über die Verwendung von Cannabis bezüglich gesundheitlicher Aspekte aus. In seinem bereits 1000 v. Chr. erschienenen „Canon medicinae“ werden neben den Samen der Pflanze auch die Kräuter zwecks Leidenslinderung erwähnt. Gegen Ohrenkrankheiten, Wurmbefall oder Hautkrankheiten wurden die Wirkstoffe der Pflanze in der arabischen Welt eingesetzt. Später sprachen Ärzte hier auch über die schmerzstillenden Eigenschaften oder nutzten Cannabis zur Behandlung von Nerven- sowie Augenschmerzen. Im von Avicenna verfassten „Canon medicinae“ wird auch über den möglichen missbräuchlichen Umgang mit Cannabis berichtet.
Die Unterscheidung zwischen Cannabis sativa und Cannabis indica
Erst im 18. Jahrhundert wurde seitens des Botanikers Georg Eberhard Rumphius der Unterschied zwischen dem heimatlichen und dem indischen Hanf definiert. Er war es auch, der die Zweigeschlechtlichkeit der Pflanze erkannte. Es brauchte weitere 50 Jahre und die Arbeit von Jean Baptiste Lamarck, um eine definitive Unterscheidung zwischen Cannabis sativa und Cannabis indica zu vollziehen. Während von der ersten Varietät in erster Linie nur die Samen in Form eines Öls oder einer Emulsion medizinisch verwendet wurden, so wurden von der anderen Gattung neue Erkenntnisse gesammelt, die mit der Verwendung anderer Pflanzenteile in Verbindung standen. Johan Friedrich Gmelin berichtete in seinem 1777 geschriebenen „Allgemeine Geschichte der Pflanzengifte“ darüber, dass „der Same, die Rinde, die Blätter, noch mehr der Saft, und die Spitzen“ von indischem Hanf eine betäubende Wirkung besäßen. Mit Honig vermischt würden sich Menschen aus Arabien damit berauschen und den Verstand benebeln.
Die frühe Schulmedizin entdeckt die Hanfpflanz
Um das Jahr 1830 wird der indische Hanf durch den Apotheker und Botaniker Theodor Friedrich Ludwig Nees von Esenbeck für den Einsatz in der Medizin beschrieben. Neun Jahre später veröffentlichte ein in Indien stationierter Arzt mit dem Namen William B. O’Shaughnessy ein umfassenderes Werk mit dem Titel „On the Preparations of the Indian Hemp or Gunjah“, dass dafür sorgte, dass Cannabis auch in der Schulmedizin der westlichen Gefilde an Bekanntheitsgrad gewann. Schließlich konnte O’Shaughnessy vielfältige Versuche am Menschen nachweisen, bei denen verschiedenste Hanfpräparate bei unterschiedlichsten Leiden eine wohltuende Wirkung zeigten. Beim Einsatz gegen Rheumatismus, Tollwut, Cholera, Starrkrampf, Krämpfe und Delirium griff er auf konkrete Fallbeispiele zurück, mit denen die Wirksamkeit belegt werden konnte. Die Beobachtungen wurden schriftlich dokumentiert. Weil man zu dieser Zeit Symptomen vieler Infektionskrankheiten relativ hilflos gegenüberstand, wurde ein großes Interesse geweckt, das als Ausgangspunkt der Karriere der vielversprechenden Medizinalpflanze Cannabis indica wahrgenommen wird.
Auf nach Amerika
Während zu Beginn des medizinischen Einsatzes vornehmlich die von William B. O’Shaughnessy genannten Krankheiten behandelt wurden, erweiterte man das Therapiefeld für Haschisch im Laufe der Zeit. So führten Meldungen über erfolgreiche Behandlungen bei Tetanus zu großem Interesse in England und Frankreich. Ein Arzt aus Bulgarien verfasste sogar eine Dissertation über den indischen Hanf bei Wundstarrkrampf. Nachdem sich in Europa das natürliche Arzneimittel in den verschiedenen medizinischen Gebieten einen guten Namen machen konnte, fand es auch seinen Weg nach Amerika. Bereits 1860 wurde seitens des medizinischen Komitees des Bundesstaates Ohio ein detaillierter Bericht verfasst, der über die Verwendung von Cannabispräparaten in den USA Auskunft gab. Neben den bereits bekannten Anwendungsgebieten experimentierte man nun in Amerika bei Asthma– und Bronchitiserkrankungen.
Das Wissen und die Bedeutung wachsen
In den USA und den meisten westlichen Ländern schaffte es Hanf nun bereits in die Verzeichnisse der offiziellen Arzneimittel, was dessen Stellenwert zu dieser Zeit verdeutlicht. Überall wurden wissenschaftliche Arbeiten zum Thema verfasst, sodass das Wissen über die Möglichkeiten des Einsatzes schnell anwuchs. In Deutschland fanden unter anderem Versuchsreihen mit 1000 Patienten statt, die unter Schlafstörungen litten und durch den Einsatz des pflanzlichen Arzneimittels ihre Symptome lindern konnten. Verantwortlich für die Versuchsreihe war ein gewisser Bernhard Fronmüller, der die Forschung im Rahmen der „Klinischen Studien über die schlafmachende Wirkung der narkotischen Arzneimittel“ um 1869 durchführte.
Zwanzig Goldene Jahre
Zwischen 1880 und 1900 wird aktuell der Höhepunkt der damaligen Hanfforschung verstanden. In dieser Zeit erreicht auch der Gebrauch von Hanfpräparaten seine Spitze. Verschiedenste Firmen in Europa und den Vereinigten Staaten waren dafür verantwortlich, dass eine immer größere Zahl von Arzneimitteln auf Cannabisbasis verfügbar gemacht wurden und verwendet werden konnten. Hochwertige Rohstoffe sowie Fertigpräparate standen fortan der Allgemeinheit zu Verfügung und wurden dementsprechend bei den unterschiedlichsten Indikationen eingesetzt. So nutze man die Arznei jetzt auch bei durch Migräne oder Menstruationskrämpfe hervorgerufene Schmerzzustände, setzte sie gegen Asthma oder Keuchhusten ein und griff darauf als Beruhigungs- und Schlafmittel zurück. Nicht so häufig, aber immer noch Verwendung fanden die Hanfpräparate bei Magenschmerzen und Magenverstimmungen, bei Depressionen oder Durchfall, bei bestehender Appetitlosigkeit, unangenehmen Juckreizen, bei Gebärmutterblutungen und Morbus Basedow sowie Wechselfieber. Wichtig zu erwähnen, scheint es auf Cannabis spezialisierten Ärzten der heutigen Zeit, dass es ebenso neben den Befürwortern im medizinischen Sektor auch Ärzte gab, die Cannabis als wertlos oder sogar gefährlich betrachteten. In der 1894 durchgeführten Erhebung „Indian Hemp Report“ kam man jedoch zu dem Schluss, dass selbst der mögliche Einsatz als Rauschmittel keinen triftigen Grund liefere, den Anbau von Hanf oder die Herstellung sowie den Vertrieb von „Hanfdrogen“ zu verbieten.
Hanf im zwanzigsten Jahrhundert
Da man Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts noch immer nicht über die genauen Wirkmechanismen von Cannabis Bescheid wusste, konzentrierte sich die Forschungsarbeit stärker auf die Erforschung dieser. Es galt herauszufinden nach welchem Prinzip das natürliche Heilmittel seine Wirkung entfaltet. Dazu beschwerten sich einige Ärzte, dass die Medikamente keine zuverlässige Wirksamkeit besäßen. Aus diesem Grund konzentrierte man sich auch auf das Standardisieren von Cannabispräparaten. Da nach dem Ersten Weltkrieg der Import von indischem Hanf versiegte, blickte man wieder auf den heimischen Hanf und die therapeutischen Einsatzmöglichkeiten von Cannabis sativa. Um 1950 herum wurde der Gebrauch von Hanf in der Medizin nahezu vollständig beendet, was auf vier Gründe zurückzuführen ist. Dank des medizinisch-pharmazeutischen Fortschritts wurden neue Arzneimittel für die einstigen Anwendungsgebiete von Hanfmedizin entwickelt. Aufgrund der fehlenden Standardisierung gab es eine pharmazeutische Instabilität der Cannabispräparate. Ebenfalls spielten wirtschaftliche Aspekte eine Rolle, da nach den beiden Weltkriegen der Import von hochwertigem Cannabis indica mit einer massiven Preissteigerung verbunden war. Zu guter Letzt führten die rechtlichen Einschränkungen aufgrund neuer und restriktiver Gesetzgebungen zu einem nahezu unmöglichen Einsatz von Cannabis in der Medizin. Sämtliche Haschischpräparate wurden letztendlich der Betäubungsmittelpflicht unterstellt.
Entdeckung von THC und dem Endocannbinoidsystem
Trotz des Einheitsübereinkommens der Convention on Narcotic Drugs wurde weiterhin an Cannabis geforscht. Dies führte dazu, dass 1964 seitens der israelischen Wissenschaftler Yechiel Gaoni und Raphael Mechoulam erstmals das berauschend wirkende Cannabinoid THC in seiner chemischen Struktur erkannt wurde. 1990 folgte dann der nächste Meilenstein in der Cannabisforschung: die Entdeckung des menschlichen Endocannabinoidsystems. Das Entdecken der Cannabinoidrezeptoren intensivierte die Forschung explosionsartig und ließ verschiedenste Länder daran arbeiten, Cannabispräparate oder Cannabinoide wieder verkehrsfähig zu machen – THC beziehungsweise Dronabinol, CBD, Nabilon, oder Nabiximol. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Sicht auf Cannabis in der Medizin weitestgehend verändert. Seit der Gesetzesänderung im Mai 2017 in Deutschland darf unter bestimmten Umständen das pflanzliche Arzneimittel in Absprache mit dem behandelnden Arzt verschrieben und bei unterschiedlichen Krankheitssymptome eingesetzt werden. Laut dem Mitte Juli 2022 veröffentlichten Abschlussbericht der Begleiterhebung zum Gesetz „Cannabis als Medizin“ sind die häufigsten Indikationen für eine Verwendung: Depressionen, Schlafprobleme, Angst und Schmerzen. Chronische Schmerzen machen mit 75 Prozent jedoch die häufigste Indikation aus. Insgesamt sollen viele der derzeitigen Behandlungen im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen in Verbindung stehen.
Quellen:
Müller-Vahl, K. R., Grotenhermen, F. (2019). Cannabis und Cannabinoide: in der Medizin. Deutschland: MWV Medizinisch Wiss. Ver.
https://de.wikipedia.org/wiki/Cannabis_und_Cannabinoide_als_Arzneimittel
https://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Cannabis-als-Medizin/Begleiterhebung/_node.html, aufgerufen am 28.09.2022